Kopfkrieg

Triggerwarnung vor bösen Gedanken, die weh tun und in deinem Kopf herumgeistern.

Du liegst abends im Bett, eigentlich total müde, dein Kopf lässt sich aber einfach nicht abschalten. Heute Abend ist der Selbsthass mal wieder dein Begleiter beim Einschlafen. Er klopft leise aber bestimmt an und kommt einfach herein, wie ein alter Bekannter. Du versuchst es, mit Tränen in den Augen, zu verdrängen, ihn nicht hereinzubitten und ihn draußen stehen zu lassen. Einfach zu schlafen, die Gedanken und Probleme auf den nächsten Tag zu verschieben. Aber irgendwie will es nicht funktionieren. Vielleicht liegt es daran, dass du das Gefühl hast, im Streit einschlafen zu müssen? Obwohl es nicht mal ein richtiger Streit war? Aber irgendwie schon ein bisschen. Den ganzen Tag über ging es dir mental gut. Der Selbsthass war nun schon längere Zeit still. Heute Abend begegnet er dir aber wieder. Von dem einen auf den anderen Moment. Der Auslöser? Gute Frage. Eigentlich nichts, nichts der Rede wert. Vermutlich hauptsächlich den ganzen Tag angestaut, der von Schmerzen begleitet war und frustriert hat, da du eigentlich lernen und dich auf die Klausuren vorbereiten solltest. Dann eine Kleinigkeit am Abend und du siehst dich plötzlich wieder mit ganz anderen Augen. Nervig. Eklig. Schwach. Raubst anderen Menschen ihre Lebenszeit. Versinkst in Selbstmitleid. Ekelst dich vor deinem eigenen Verhalten. Vor dir selbst. Eine ganz leise, zaghafte Stimme im Hinterkopf fragt besorgt: „wieso tust du dir das an? Wieso denkst du sowas über dich? Das tut dir weh, wenn du dich so behandelst.“ Und eine andere, irgendwie viel lautere und aggressivere Stimme, die die leise und zaghafte Stimme sofort überschattet: „weil du es nicht anders verdient hast. Du bist es nicht wert. Du nervst und heulst nur rum. Du bist ein Schwächling. Nicht liebenswert. Wieso solltest du dich selbst nett behandeln, wenn sogar ein Müllhaufen liebenswerter ist als du? Keiner kann dich gebrauchen. Du bist überflüssig auf dieser Erde“. Zugegeben, die zweite, lautere Stimme tut weh. Sie zu hören. Noch mehr weh tut die Erkenntnis, dass da keine Stimmen in deinem Kopf sind, sondern das deine eigenen Gedanken sind. In deinem Kopf tobt ein erbitterter Krieg darüber, ob du nichts wert bin, deine Familie und Freunde dich nicht verdient haben, du nicht gut genug bin und einfach nur Dreck, Schande und Negativität verbreitest. Die Erkenntnis, dass du dich von den Menschen, die du lieb hast und dir gut tun, vielleicht eher fern halten solltest, sie von diesem Krieg ausschließen, damit sie dich selbst nicht irgendwann aus ihrem Leben ausschließen. Und du kannst es ihnen nicht einmal verübeln. Gründe dafür gäbe es genug. Oder, ob du nachsichtiger mit dir sein solltest. Ob du vielleicht doch liebenswert bist. Heute morgen hattest du sogar einen kurzen Moment des Stolzes. Konntest es für ein paar Minuten nicht verstehen, wie du dich selbst jemals hassen konntest. „Das, was du geschafft hast, ist großartig“, so meldet sich die kleine und zaghafte Stimme wieder. Die laute, aggressive sagt schon gar nichts mehr dazu, sie lacht nur, sie lacht dich aus. Dass du sowas als großartig bezeichnest. „Was hast du schon erreicht? Was kannst du schon? Du bist eine Belastung für deine Familie. Vermutlich wäre vieles leichter, würde es dich gar nicht geben. Du bist ein Schwächling und eine Schande.“ Auch diese Gedanken tun dir weh. Sehr weh. Und doch weißt du, dass zumindest ein Fünkchen Wahrheit drin verborgen ist. Und dieses Fünkchen sorgt schließlich dafür, dass dir die Tränen, die sich in deinen Augen sammeln, langsam beginnen, über deine Wangen zu laufen. Du schämst dich. Du schämst dich für dich, du schämst dich, du selbst zu sein. Du schämst dich für das, was du aus dem Leben, das dir deine Eltern geschenkt haben, getan hast. Was du ihnen mit dir antust. Es tut weh und doch kannst du nicht aufhören. Weil du weißt, ein Fünkchen Wahrheit ist in all dem vorhanden. Manchmal gelingt es besser, mal schlechter, dieses Fünkchen zu verdrängen und tief in einer Kiste zu vergraben. Aber dieses Fünkchen kommt früher oder später immer wieder an die Oberfläche zurück. Egal, wie tief du es vergräbst. Vieles, was in deinem Kopf rumgeistert und du gar nicht in Worte fassen kannst. Vieles, was auf ewig umformuliert bleibt, sondern einfach wirre und gestaltlose Gedankenklumpen, die in deinem Kopf umhergeistern und anecken. Anecken an die positiven, warmen und hellen Gedanken, sie verschlingen und mit sich reißen und sich in deinem Kopf breit machen. Du versuchst, irgendwo ein Ventil zu finden, es rauszulassen. Bemerkst, dass du Blutgeschmack im Mund hast. Unbemerkt mal wieder die Lippe aufgebissen hast und ein kleiner Teil dieser gestaltlosen Gedanken mit dem Blut deinen Körper verlassen. Und langsam gelingt es dir, die schrecklichen Gedanken und damit auch die schreckliche Wahrheit über dich selbst, wieder zu begraben, zu verdrängen. Du drehst dich um, machst die Augen zu und wartest, dass du einschläfst. Der Gedankenkrieg tobt weiter. Aber leiser. Aus weiter Entfernung. Aber er ist dennoch da. Und er wird auch immer da sein. Mal leiser und mal lauter. Mal sind die zarten Gedanken lauter, dann die aggressiven. Mal tut es mehr weh, mal weniger. Aber zu versuchen, ist zu ordnen, hilft dir zumindest etwas besser, sie zu verdrängen. Das Schreiben hilft dir etwas. Hilft dir, sie auf den nächsten Tag zu verschieben, an dem du dich dann intensiv mit dem Vergraben dieser Gedanken beschäftigen wirst.