Gedanken am Morgen

Heute ist der zweite Tag, den ich mit meinem neuen Plan begonnen habe. Um sechs Uhr klingelte der Wecker, schnell angezogen und eine Runde mit dem Hund raus, anschließend Yoga gemacht oder gehullert, um dann zu duschen, frühstücken und entspannt in den Tag zu starten. Abends dann eine Stunde vor dem schlafen gehen das Handy ausstellen, Tagebuch, Yoga, lesen. Hat bis jetzt tatsächlich gut funktioniert.

Obwohl ich eigentlich erst um neun mit Arbeiten anfangen wollte, habe ich bereits zwei Abgaben für heute getätigt. Zwei Punkte auf meiner Liste für heute kann ich also direkt abhaken. Heute morgen wurde mir ein Link zugeschickt, der über eine Preisverleihung unserer Lokalzeitung ging. Mein Abijahrgang aus dem letzten Jahr ist dort auch aufgeführt. Wir hatten 4000€ an ein Kinderhospiz gespendet. Gedacht und gesammelt war es eigentlich für den Abiball, der dann ja ausfiel.

Ich hatte mich wirklich lange auf mein Abitur gefreut, Mottowoche, Abiball, Zeugnisvergabe. Wie lange habe ich diese Tage herbeigesehnt? Verstärkt auch, als mein alter Jahrgang, den ich krankheitsbedingt ein Jahr vor den Abiturprüfungen verlassen musste, selbst sein Abi in der Tasche hatte und ich, anstatt selbst auch feiern zu können, lediglich Gast beim Abiball war. 2020 war der erste Abijahrgang unter Pandemiebedingungen, lange stand nicht fest, ob die Prüfungen überhaupt geschrieben werden können, Lerngruppen waren nicht möglich, Mottowoche und Abiball fielen natürlich auch aus. Ebenso der Abistreich. Die Zeugnisvergabe war auch eher trist. Mit viel Abstand und ohne Familie wurden schnell die Zeugnisse überreicht, weder Livemusik noch Lehrer oder Eltern durften dabei sein. Natürlich habe ich mir mein Abitur wirklich anders vorgestellt, ich habe mir den Abiball oder wenigstens eine vernünftige Entlassung mit Familie und Jahrgangsfotos gewünscht. Leider funktioniert aber nicht immer alles im Leben so, wie wir es gern hätten. Das letzte Jahr mussten wir alle gehörig zurückstecken, die einen traf es mehr, die anderen weniger. Aber wir alle haben unser Päckchen zu tragen.

Ich glaube, für mich das schlimmste an der Pandemie, neben der Angst, dass sich meine Familie infizieren könnte, sind wirklich die ausgefallenen Abiturfeierlichkeiten und auch der online Start in das Studium, wodurch ich nach einem halben Jahr Studium mit gerade einmal drei Kommilitoninnen kurz (in echt) gesprochen habe. Eine davon meine Mitbewohnerin, die beiden anderen habe ich vor der Matheklausur angequatscht. So hat jeder sein Päckchen zu tragen, für mich persönlich sind das gefühlt ausgefallene Abitur und somit Abschluss der Schule und der gefühlt ausgefallene Start ins Studium wirklich schlimm, ein Kloß in meiner Kehle, der die Luft abschnürt, Übelkeit, die den Magen hinaufkriecht, Tränen, die in die Augen steigen. Für mich persönlich ist das schlimm. Ich habe mich sehr sehr lange auf diese Ereignisse gefreut und werde auch nie wieder die Chance dazu haben, es nachzuholen.

Aber es gibt dennoch deutlich, deutlich schlimmere Sachen. Ich ahbe keine Existenzsorgen. Ja, ich bin Studentin und verdiene kein Geld, im Notfall können mich meine Eltern aber untertützen, ich habe gespartes und komme zumindest noch eine Zeit durch ohne Nebenjob. Ich kann froh sein, dass ich bis jetzt komplett heil und ohne mich zu infizieren durch das erste Pandemiejahr gekommen bin. Meiner Familie geht es gut. Ich kenne niemanden in meinem Umfeld, der infiziert war oder mit Langzeitschäden zu kämpfen hat. Spätestens nach meinen eineinhalb Jahren Krankheitsodysee von 2016-2018 weiß ich Gesundheit doch mehr zu schätzen, als ich es vorher getan habe. Familien mit kleinen Kindern, die dauerhaft zu Hause betreut werden müssen, Homeschooling, nebenbei noch ein eigener Job. Kinder, die ihre Freunde nicht sehen können, sich nicht mit ihnen treffen dürfen, Kindergeburtstage, die ausfallen. Alte und kranke Menschen, die einsam und allein seit einem Jahr abgeschottete in den Heimen sitzen, isoliert von ihren Familien. Menschen, die um ihr Leben bangen. Angehörige, die um das Leben ihrer Liebsten bangen müssen.

Jeder hat sein Päckchen zu tragen und es ist auch okay, traurig und wütend zu sein. Seine Gefühle zuzulassen. Aber nach dem Weinen oder Traurigsein sollte man dann auch wieder daran denken, wie gut es uns eigentlich geht. Wie es manch anderen geht. Wir haben auch das Recht, traurig und wütend über unsere persönliche Situation zu sein, auch wenn es deutlich schlimmere gibt. Man sollte nur die Realität nicht aus den Augen verlieren.

Ein abgesagtes Abitur (denn genauso fühlt es sich irgendwie an), ein anonymer Studienstart. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, das eine ist schwerer als das andere. Aber ich denke, die Situation jetzt wird uns alle stark machen, wir müssen nur durchhalten und unser Ziel nicht aus den Augen verlieren. An die Schutzmaßnahmen halten. Mit Abstand zusammenhalten. Ich bin mir sicher, dass wir die Pandemie irgendwann zumindest so in den Griff kriegen, dass ein normales Leben wieder möglich sein wird. Vielleicht werden wir die Masken nie ganz los. Vielleicht wird es wie in China sein, dass in Grippewellen die Masken in Bussen etc. getragen werden. Aber das Sozialleben wird sich mit Sicherheit wieder bessern, wir müssen nur stark sein und dürfen nicht aufgeben!